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Kontainer

Jeder Besucher Berlins hat sie gesehen. Die in die Bürgersteige der Stadt eingelassenen Messingtafeln – „Hier lebte …“ – die Stolpersteine der beklemmenden Erinnerung.

Das schwankende Gefühl der Bedrohung, das sich seit einem Jahr durch die kollektive Wahrnehmung frisst, hat die Prioritäten des Alltags in einer Weise verschoben, dass kein Vergleich zu weit hergeholt scheint. Wir überbieten uns in Superlativen, von der Konfusion der Regelwerke ganz zu schweigen. Was im Zentrum stand, geriet in die Randgebiete der Normalität.

Bei Betrachtung des Stempels 30 Jahre später zeigt sich ein noch immer souverängrün gefärbtes Feld mit dem freimaurerhaften Signum Hammer, Sichel, Ährenkranz, dann gestuft absteigend die drei Konsonanten D, D und R, daneben ein auf Kollisionskurs mit dem R befindlicher LKW über das Datum rollend, darunter dann in frisch erhaltenem Magentaviolett der Schriftzug „Potsdamer Platz“, darunter die unschlüssige Folge der Zeichen „xoxoxox“, dahinter in eckigen Klammern die Zahl 029.

Meine Damen und Herrn, ich möchte Ihnen vom Auftauchen und Verschwinden der leeren Stadt Berlin erzählen und auch davon, wie sich die Leere als Traum entpuppte, allerdings als produktiver Traum, von dem Berlin bis heute zehrt.

Wenn alle drinnen sitzen, sitzt sie draußen. Das, soweit ich mich erinnern kann, seit – ich kann nur ein Jahr ungefähr schätzen. Sie lebt auf der Straße, der Greifswalder, in den freien Nischen verlassener Geschäfte. Auf Schaufensterbänken. Die Straße ist lang. Die Winter sind warm, aber es sind immer noch Winter.

Sie hat sich, uns gegenüber, an der Straßenecke eingerichtet, ihren Haushalt dazu. Manchmal läßt sie ihn, im Einkaufswagen in Müllsäcke verpackt, zurück und hält sich anderswo auf

Neulich saß ich im Bus Nummer M29, auf dem Weg von Kreuzberg nach Charlottenburg. An der Kreuzung zur Friedrichstraße stieg ein Soldat ein. Ich sah ihn zuerst von meinem Platz am Fenster der oberen Etage aus einsteigen und war spontan irritiert von der Uniform: Obwohl es sich offensichtlich nicht um die der Bundeswehr handelte, kam sie mir bekannt vor. Der Mann kam die Treppenstufen herauf und setzte sich in die Sitzreihe neben mir

Die erste wirkliche Tragödie einer Beerdigung, nicht meine eigene, sondern eine, die mich als Verwandte betraf, geschah, als ich sechs Jahre alt war. Meine Tante, sie war plötzlich tot. Die Familie organisierte die Beerdigungszeremonie. Oleg, mein Cousin, ihr Sohn, ein Junge in meinem Alter, spielte neben dem Sarg, ohne zu wissen, was vor sich ging. Ein schrecklicher Moment des Bewusstwerdens kam, als der Sarg in das Grab gesenkt wurde

Tegel wird für immer mein erstes Einflugstor nach Deutschland sein. Es war meine erste Reise nach Berlin, meine erste Reise nach Europa überhaupt. Ich erinnere mich kaum an den Tag der Abreise, ebenso wenig wie an die Tage oder gar Wochen davor. Ich habe von morgens bis abends etwas unternommen, irgendwas, mit meinen Kindern, es sind drei, kaum geschlafen