Schloß im Himmel (2)/
Die Mauer, wenn wir von der Berliner reden, und von welcher sonst? ist eine Muse, die Generationen von Journalisten, Künstlern, Dichtern und Dramatikern, sogar Wissenschaftlern, inspiriert hat. Die meisten hassten sie, kämpften, rannten gegen sie an, doch niemand überwand sie. Und nicht einmal, die sie überwanden, konnten von ihr lassen, wird berichtet. Wenigen gelang die Flucht durch sie, über sie und unter ihr, und nicht wenigen war sie ein tödlicher Prellbock. Sie brachte Genies zur Welt, sie erzog Generationen von Intellektuellen, sie war ein Symbol des Kampfes für wie gegen etwas. Belegt ist, dass eine Schwedin (Rita Eklöf, Modellbauerin) die Mauer sogar heiratete; zu welchem Zweck ist unbekannt. Dass es mehr als eine Spielart sogenannter Neosexualitäten, mehr noch als Objektophilie war, gilt als erwiesen. Es war aufrechte Liebe, zumindest von einer Seite aus. Nachprüfbar ist das nicht mehr, beide Ehepartner sind verstorben.
Konkret gesprochen: diese Mauer existiert nicht mehr. Nicht dinglich, sie ist Geschichte. Sie teilt die Stadt nicht mehr, belastet sie nicht, prägt sie aber, irgendwie, immer noch. Vielmehr scheint umgekehrt die ganze Stadt ein Denkmal der Mauer geworden zu sein, das von vergangenen Helden, vergangenen Siegen, vergangenen Genies, vergangenen Konfrontationen, vergangenen Niederlagen, vergangenen Wortspielen spricht. Alles in Gegenwart ist etwas, das NACH der Mauer. Alles Große ist mit ihr vergangen, Geschichte, so wie sie es ist. Ein einzigartiges, geteiltes, auseinandergerissenes Berlin, das gerettet und wieder, wiederaufgebaut wurde. Beziehungsweise immer noch wird. Eine Generation, die die Mauer nicht kennt, ist erwachsen geworden; ihre Kinder werden noch weiter von diesem Phänomen entfernt sein als sie, und die Stimmen ihrer Großeltern werden undeutlich etwas von einer sagenhaften, wirklich erstaunlichen Mauer erzählen, die ihr oft als Ostalgie diffamiertes Verhältnis zur Vergangenheit in diesem einzigartigen Punkt aber unbestreitbar zu etwas exklusivem machte, weil hier sich Ost- wie Westbewohner einig sind im Bewusstsein, ein unwiederbringbares Alleinstellungsmerkmal verloren zu haben.