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Tag 94

Festung als Interieur der Stadt //

Man nimmt es nur aus halber Höhe, vom Fahrradsitz, vielleicht auch vom Lastwagen aus wahr: Zwischen Alex und Alexa nach Westen zu, die Gruner-, Ecke Gontardstraße, gleich nach der Bahnbrücke, am Parkhauskomplex der Rathauspassagen und den freigelegten Fundament des Elektrizitätswerks (*1889 †1919) vorbei, wird die Ansicht einer Festung klar. Links über die sechs Spuren der Grunerstraße zum festungsähnlich massiv gebauten Neue Stadthaus, in dem das Standesamt ist, links vom Alten Stadthaus am Molkenmarkt, noch deutlicher.

Das Hochbauamt der Stadt sah um 1933 ein repräsentatives Verwaltungsforum für Berlin, während es sich in Germania wandeln sollte, hier, um den Alexanderplatz, die Rote Burg des Polizeipräsidiums im Rücken, vor; Übergangsarchitektur. Dann wurde gar nichts draus. Das Forum fiel flach, Germania fiel aus, nur die Bunker hielten sich.

Berlin hat das Kulturforum, fast hätte es einmal ein Verwaltungsforum gehabt. Vielleicht nicht unbedingt von Nachteil für die lebende Legende der Berlinbürokratie, die sich immer nach Zentralmacht sehnt. Bildlich ist der Ort, an dem das Forum stehen sollte, die poröse Festung im Kern der Stadt, der heute mehr als je zuvor eine Karikatur nach E.TA. Hoffmann in Quadern aus Beton und Kunststein ist. (Über die Laterne, die da zwischen Festung, Bretterzaunkulisse und Rathaussturm steht, reden wir später.)

Berlin ist keine feste Stadt, hat als Festung, sieht man vom betonumkragten Ostteil für knappe 30 Jahre ab, nie funktioniert. Festungsmäßig läuft hier, ausgenommen die Verwaltung, gar nichts. Sie bedient beides: gehört zum Interieur und ist Festung gleichermaßen. Was sie so undurchdringlich macht, ihre Lückenhaftigkeit, macht zugleich die festungsgleiche Stärke aus. (Wer einmal einen Weltkriegsbunker über seine Stockwerke durchlaufen hat, weiß, was ich meine.) Darüber ließen sich Romane der Alltäglichkeit schreiben, Tag für Tag.

Ausgrabungen sind das irdische Archiv, die sandige Quelle der Geschichte der Stadt. Fahren wir die Grunerstraße Richtung Leipziger fort, auf die Wohntürme der 1970er zu, fahren wir zurück durch die Zeit in eine mittelalterlich befugte Stadt ein, wo sich ab Höhe Wilhelmstraße in der Ferne sich das Zoofenster mit Gegenwind und Sonnenschein öffnet. Dann kommt das Nichts – Leipziger, Potsdamer Platz.

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