Becketts Blume. Großstadtszene
Beckett, Dramatiker des Nichts, der aus dem Nichts das Drama geschält hat, wie der Bildhauer das Bild aus dem Stein, der Fotograf das Licht aus Schatten, ist kaum bekannt für Pflanzenliebe. Abgesehen vom Baum in Godots Paradies, aus dem Wladimir und Estragon nicht weichen.
Beckett aus Dublin, Berliner Stipendiat, Parisbewohner, hatte seine zweite, bis zum Tod letzte Wohnung in Paris im 14. Arrondissement, im Rücken der Santé, des Gefängnisblocks, in dem 1972 die letzte Guillotinierung in Frankreich stattfand. Im Schatten der Anstalt, angeblich mit Blick hinein in sie, zog Beckett die Blume, die das Bild zeigt.
Die Flügel des in 1860er Jahren errichteten Gebäudes sind als vierzackiger Stern von trapezförmig angeordneten Mauern umgeben, die von Neubaublocks aus den 1960ern und 70ern umgeben sind. In einem von ihnen hat Beckett gewohnt, 38 Boulevard Saint-Jacques. Aus der Luft, von Google Earth aus gesehen, sehen wir nichts. Street view funktioniert hier nicht, das Satellitenbild über dem Gefängnistrakt ist verpixelt. Wir müssten eine Drohne kaufen oder Becketts Blick erraten.
Das Licht, das auf seine vermutlich nicht graue Balkonblume fiel, hat auch die Gefangenen beim Hofgang beschienen. Der vielleicht mitfühlend, vielleicht träumende Blick, den das Foto zeigt, deutet eine Reflexion an, die vielleicht von den Büchern in Becketts Rücken ausgeht/dorthin zurückgerichtet ist. Vielleicht auch nicht.
Das Foto, aufgenommen Anfang der 1970er, hat, während Dreharbeiten vom Gefängnis aus, Jean-Luc Godard gemacht. Möglich, dass im Moment, als der Zeigefinger des Regisseurs den Auslöser drückte, Köpfe rollten. Der Blick des Filmemachers auf den Blick des Dramatikers offenbart, ohne dass man es wissen muss, eine Szene, die nur in der großen Stadt, die im Off liegt, stattfinden kann. Wir können sie auch mit einem Wort aus Benjamins Begriffskasten benennen: Passage.