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Tag 62

Urbaner Anthropomorphismus/

Ich, als ich klein war, kannte Karlundrosa als Ganzheit wie das Damunderrrn der Nachrichtensendung am Abend. Sie war auf meiner Seite der Welt, als ich klein war, eine verbotene Sendung. Unsre, die erlaubt war, hieß Die Aktuelle Kamera, aber auch da wurde vermutlich Guten Abend, meine Damunderrrn gesagt, ich dachte immer, das sind eben die und der, wir alle. Und der oder die, die das im Fernseher sagte, sah natürlich auch, wie man sich ihm oder ihr gegenüber verhielt, deswegen besser nicht hinsehen. Als ich erfuhr, dass Damen und Herren verschiedene Dinge sind, waren Karl und Rosa schon da. Wir besuchten sie mit der Schule einmal im Jahr, gleich im Anschluss an Silvester, die Straßen waren immer noch rot vom Raketenpapier und verbranntem Sprengstoff, meisten rot und grün und der schmutzweiße Schnee dazwischen, ein italienisches Modell. Ich sah andere Farben darin, bulgarische, was daran gelegen haben muss, dass Georgi Dimitroff der Namensgeber meiner Schule war, ein Held, und weil es mir gut ging, kein Krieg, zu Essen undsoweiter, stand ich irgendwie in seiner Schuld. Das Irgendwie wirkt irgendwie immer noch nach.

Die Rosa-Luxemburg-Straße, die vor 100 Jahren-Kaiser-Wilhelm-Straße, vor 50 Jahren Liebknechtstraße hieß, stößt als grade Linie zwischen zwei Häuserfrontschenkeln auf den Venushügel Rosa-Luxemburg-Platz, dem die Volksbühne aufsitzt und rechts oberhalb davon, im Eileiterbogen der gesamten uterusförmigen Anlage, das Karl-Liebknecht-Haus. Sie bilden noch immer eine Einheit: Rosa, Karl, Gebärmutter und -vater der virulenten sozialistischen Idee, die im Triangel hier ideengeschichtlich und theaterhistorisch gut gewärmt begraben liegt.

5.03.1871

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