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Tag 58

Schatten-3D//Passage als Kreuzweg//Intarsie in der Zeit

Platons Höhlengleichnis beschreibt als ersten Kreuzweg den der Suche nach Wahrheit; sie ist geradeaus nicht zu haben, das Licht der Erkenntnis nicht ohne Suche nach dem Ursprung des Schattens, der verborgen und mindestens einmal um die Ecke gedacht hinter uns liegt. „Ohne Schatten wär der Globus unter der Sonne nur eine kahlrasierte Kugel. Ohne das Böse existierte das Gute nicht, wäre kein Mensch …“ So spricht auf den Leninbergen über Moskau Bulgakows Teufel Voland zu Levi Matthäus mit Blick auf die in der Sonne bratende Stadt im Sommer 1939.

Auf den Kreuzweg des Denkens folgt der Kreuzweg des Glaubens, der ohne Zweifel nicht zu haben ist. Der Zweifel ist der Schatten des Glaubens. Gregor Schneider hat in der Kirche Sankt Matthäus einen Kreuzweg eingezogen. Er hat sein Kreuz dort abgeworfen und es sprengt die Kirche. Das Kreuz wirft den Schatten des Glaubens. Der Schatten ist gebaut, er ist dreidimensional, ein Höhlengleichnis aus verbranntem Holz, nur durch ihn kommen wir in die Kirche. Wir gehen durch das Kreuz durch absolutes Dunkel in bedingtes Licht.

Walter Benjamin spricht von Passagen als Kreuzwegen, die Interieur und Straße und zielstrebiges Irren = Flanieren in eins bringen. In Schneiders Einbau sehen wir das als verkörperte Transformation von Zeit, Intarsie im Raum des Glaubens und der Auferstehung. Am Ort, wo nach Speers/Hitlers Welthauptstadtplanung die Fundamente des Oberkommando des Heeres vom Bendlerblock bis zum Potsdamer Platz wuchern sollten, liegt für einen in die Zeit eingepassten Moment das Hohlkreuz der Stadt, das nebenbei noch auf die Schwäche im Rücken dieser Stadt verweist, zu deren größeren Problemen der Glaube an sich selbst gehört.

Schneiders Bild-Raum-Passage ist das Bild, das von der Archaik unsrer Herkunft zeugt. Das Zeugnis ist ein Eingriff der Kunst in das Geschehen, das momentan der Stillstand ist. Und es ist ein Privileg der Kunst, den Augenblick der Erkenntnis, der Jahrtausende akkumuliert, aufstehen zu lassen wie eine Wand oder Monsterwelle, die im nächsten Augenblick auf uns niedergeht und uns davonspült.

„Der Kreuzweg stiftet die Mitte“ ist eine Metapher für den Ort der Utopie. Hier treffen wir keine Entscheidung, wir treffen auf sie. „Wahrheit ist an einen Zeitkern, der im Erkannten und Erkennenden zugleich steckt, gebunden“, meint Benjamin. Ein Nukleus der jedem eigenen Ewigkeit, ein Ich im Ich, dem man sich nur ungern stellt. Der Kern ist die Mitte, der Schnittpunkt, die Kreuzung. Auf ihr zu beharren, heißt stehenbleiben, und birgt das Risiko des Überfahrenwerdens in sich, „und jetzt geh“.

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