Schloß im Himmel (5.2). Immer noch Geschichtsvermarktung/
Die von westlich der Elbe seit 1990 in Potsdam einwachsenden Eliten bauen sich ihre Stadt so zurecht-zurück, dass man nicht anders kann, als in ihnen wirkliche Brecht-Adepten zu erkennen. Ein V-Effekt wie das ganze Retortenretourbauprogramm im Osten, von denen das Humboldtforum den gewaltigsten darstellt. Solche gewollten Irrtümer haben außer Steuerabschreibung keinen wirtschaftlichen Nutzen, höchstens ideologischen. Die Überbauung des letzten DDR-Rests mit den Errungenschaften der Marktwirtschaft, die nicht zuerst Wohlstand, sondern Neutralisierung von Widerspruch bedeuten, auch sozialem, der die Hierarchie infrage stellt. (Ich gebe natürlich zu, dass ich aus Sozialneid schreibe.)
Wer mit der Ringbahn im Kreis fährt, dem fällt das weniger auf. Der Blick erschließt sich eher auf der Ost-West-Achse, die immer noch eine Achse zwischen oben und unten, soziale Vertikale ist. Man muß aus Potsdam nach Berlin kommen, am besten über den Potsdamer Platz und von dort zum Alex, um den Schutthaufen auskosten zu können, der die Stadt schon wegen ihrer Dimension an Geschichtsausradierung ist, vor allem wenn es um die Geschichte der Ostdeutschen geht, zu denen auch ungefähr ein Drittel Berliner gehört. In dieser Kleinigkeit macht uns niemand was vor, außer China vielleicht, aber das ist eben China.
Es ist eben keins der größeren Probleme, die sich in der Epoche explodierenden Bevölkerungswachstums, an dem keine Pandemie etwas ändert, stellen – wer hat schon Zeit für die Aufarbeitung von Geschichte, wenn die Zukunft mit der Gegenwart zusammenfällt und die unmittelbar zurückliegende Geschichte an Konfliktpotential zwei Weltkriege birgt, aus denen sie uns noch nicht immer nicht entlassen hat. Ganz abgesehen davon, dass auch die Aufarbeitung verschiedene Ansichten hat und federführend ausschließlich eine Elite ist.
Beispiele hat die neuralgische Mitte Berlins mehr als sonstwo zu bieten. Manchmal nicht ohne Witz: 17 Millionen Euro soll das „Nationale Freiheits- und Einheitsdenkmal ‚Bürger in Bewegung‘“, auch „Einheitswippe“, kosten, macht 1 € pro DDR-Mensch. Nur weil wie gewohnt alles teurer werden wird, haben auch die Westdeutschen Gelegenheit, ihren Solidaritätsbeitrag zu bringen. Rein ästhetisch ist es eher der Spucknapf der Nation und selten ist Überfluß deutlicher in Form gegossen worden als hier.
Warum und wo in einer Theaterkritik der Satz stand, dass eine Handvoll westdeutscher Oligarchen sich Potsdams und Geschichte bemächtige, weiß ich nicht mehr. Vielleicht muß man es so defätistisch sehen, um Berlin mehr abgewinnen zu können als besseres Theater. Länger anhaltenden Widerstand als in der Vitrine an der Havel beispielsweise, und sei es durch die beklagte Berliner Scheiß-egal-Mentalität, die unberechenbar oft in verwaltungstechnische Anarchie umschlägt. Genaugenommen sind Aufbauten wie das Ding hinter der Schloßmaske auch nichts anderes Anarchie und versilberter Ausdruck einer politischen Konstellation, die in der „ästhetischen Erziehung des Menschen“, die nur eine soziale sein kann, dauerhaft versagt.
Der Geist von Potsdam schwebt über den Wassern nicht nur der Havel, auch der Spree. Das, was Humboldtforum genannt werden will, ist ein Ausdruck dessen, Potsdam im Zentrum von Berlin.