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Tag 134

Foto: Dmitro Kozatsky/Фото: Дмитро Козацький//

Theater des Krieges//

Der Einschlag rückt den Darsteller des Krieges ins Licht. Nicht der einzelne Kämpfer, nicht der zertrümmerte Bau – die Fotografie selbst ist die Inszenierung des Stücks auf einer Bühne, die allen Assoziationen offen steht.

Sie zeigt einen Raum, der zerstörtes Theater und zerschossene Fabrik zusammenbringt. Die Schönheit der Darstellung betont die Künstlichkeit, die uns von Gewalt und Terror, Dreck und Not enthebt. Für den Moment der Fotografie ist die Staubsäule in den blauen Schein des Bühnenlichts verwandelt.

Durch die von Bomben gerissene Lücke fällt Sonnenlicht auf den einzelnen in Uniform, der mit ausgebreiteten Armen wie eine Christusfigur im Moment der Erkenntnis steht. Die Schönheit der Darstellung hat ihren Preis; das Leben des Einzelnen vor oder hinter der Kamera im Moment des Todes, wie ihn Capa 1937 im Spanischen Bürgerkrieg in einer anderen Inszenierung festgehalten hat.

Andere Bilder zeigen Schrottkaskaden, Monumente nicht mehr möglicher Arbeit. Die Arbeit, die bleibt, ist die Schlacht, Verteidigung, die in ihren letzten Zügen, einer Pause, festgehalten sind. Wieder andere Bilder zeigen Werkhallen, Katakomben, Bunker wie Höhlen, Arbeitersoldaten in funzligem Licht, die wie Platons Höhlenbewohner vor Schatten hocken, die in mehrfach gebrochener Sicht auch ihre sind.

Sie dort drinnen sind aus unsrer fernen Perspektive Höhlenbewohner – wir, die wir uns für „die Welt dort draußen“ halten, sitzen in unsrer Wahrnehmungshöhle und nehmen die Schatten der Berichterstattung wahr. Aber der Krieg findet nicht „draußen“ oder „drinnen“, er findet überall statt, er hört nie auf und erst recht nicht im Kopf.

Das Sterben, der wirkliche Tod, ist die Schlacht, die Szene auf dem Kriegsschauplatz, das Unübersichtliche, das sich wie eine Radierung über Netzhaut und Lungen legt und die Dreidimensionalität des Lebens in der Linearität der Graphik erstickt.

Die historischen Beben, die politischen, geographischen, ethnischen Verwerfungen zwischen Ost und West, Byzanz und Rom, Europa, Asien, Eurasien bilden sich als tektonische Bruchlinie im „Grenzland“, was Ukraine bedeutet, ab. Immer wieder aufbrechende Narben einer Wunde, die, seitdem ihr Körper existiert, nie heil war.

Ändern wir die Perspektive: Wir befinden uns im permanenten Krieg, der lediglich die Schlacht für zwei Generationen in Europa ausgespart hat. Wir waren gewohnt, diesen Krieg den Kalten zu nennen. Wir waren gewohnt, dass nach dem Krieg der Frieden kam und, egal wie wir ihn nannten, blieb. Doch der Frieden war nur Teil des Krieges, Krieg ohne Schlacht.

Die Schlacht, die seit 2014 den Donbass verwüstet und seit Februar 2022 die gesamte Ukraine, verschlingt den Krieg und sein Regelwerk, das den Frieden als Gegengewicht braucht; der war bislang nur als Waffenstillstand zu haben.

Der Soldat mit den zum Kreuzbalken gehobenen Armen im Licht verkörpert diesen mit Hoffnung ausgefüllten Stillstand. Das Licht, das ihn trifft, kann vieles sein: tröstende Umarmung, Signal für lang erwarteten Entsatz, Erinnerung, Erlösung …

Die Fotografie hebt die Situation (und imaginierten Vorgang) auf eine höhere Stufe; sie gibt die Totale einer Existenz wieder, indem sie mit dem Riss in der Realität, durch den das Licht der „Außenwelt“ dringt, die Szene komplettiert.

Wir sind Teil der Inszenierung. Sie hat nicht aufgehört, wenn wir uns nur noch an die Bilder, nicht mehr an die Erfahrung, die sie dokumentiert, erinnern.

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