Michael Busch
Es ist ein nachdrücklicher Moment in Schwarzweiß. Die junge Katharina Thalbach mit ihrem Bubikopf lehnt sich aus dem halb geöffneten Fenster, blasses Sonnenlicht fällt in die gute Stube, schaut nach oben in die Sonne, schaut in den Himmel. Und mit ihr begreifen auch die Zuschauer die Veränderung. Es herrscht Stille! Die Abwesenheit von Lärm wird in ein präzises Bild gegossen. Bis zu diesem Moment ist der Fluglärm im Film „Engel aus Eisen“ von Thomas Brasch allgegenwärtig. Der Film spielt zur Zeit der Luftbrücke 1949, eine Schmugglerbande organisiert sich zwischen den Sektorengrenzen, zwischen Ost und West. Die Szene am Fenster in ihrer harmlosen Idylle offenbart den Wendepunkt des Films. Solange die alliierten Flugzeuge über Berlin dröhnen, funktioniert der Absatzmarkt. Heute, im März 2020, ist es wieder still in der Stadt. Wenn in den Wintern vor dem Klimawandel der Schnee kam im kalten Januar, war es ähnlich. Dann fiel ein Himmel aus Watte über die Stadt und erstickte den Hallraum der Metropole.
So ist es heute wieder. Die Epidemie macht die Stadt leise. Mit dem fehlenden Geräuschpegel wird sie auch fast Schwarzweiß, ein Stummfilm ohne Musik, und zur Stille kommt die Erinnerung an einen weiteren Sinneseindruck: den Geruch von Kohlenstaub. Der im Schnee hing, der in den Straßen wie ein Schleier schwebte, und das in Ost und West gleichzeitig. Wie viele Kreuzberger haben mit den billigeren, bräunlicheren Ost-Briketts geheizt! Die Anfeuerprozedur der Kachelöfen war ein gesamtberlinerisches Ritual. Mit dem Abnehmen der Geräusche geht das Zunehmen des Geruchs einher. Ist etwas überspitzt formuliert, weil die Kohle monatelang in der Luft hing, aber mir gefällt die Idee einer Explosion der Sinne, die von einem schwarzweißen Kinobild ausgelöst werden. Thomas Brasch ist wie der Kohlenstaub ein gesamtberlinerisches Phänomen. Er hat „Engel aus Eisen“ im Westen gedreht. Vor gar nicht langer Zeit sang die berückende Masha Qrella mit einer Stimme, wie aus der Welt gefallen, Texte von Thomas Brasch im Hebbel am Ufer. Draußen waren Monitore aufgebaut, ein journalistischer Altarraum für Thomas Brasch, und nicht nur der Skandal seiner Rede zum Bayrischen Filmpreis war wieder zu entdecken. Er hatte sich bei der Filmhochschule Konrad Wolf in Babelsberg für seine Ausbildung bedankt, und es schien, allein die Erwähnung einer Einrichtung der DDR war für Franz Josef Strauss ein Grund zur Schnappatmung. Der Virus kam damals aus dem Osten. Das lateinische Corona ist ja eine Art Siegerkranz, der Bayerische Filmpreis für einen Ostdeutschen offenbarte in diesem Moment die Kluft zwischen den beiden Staaten. Ich bin das Schnitzel, sagte Brasch in einem Fernsehinterview, das die Westdeutschen goutieren