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Hello to Berlin

Giselle Bernard

Der Tag wurde gerade zur Nacht und wir hatten uns entschieden, da zu bleiben. Eine Frau singt von Elefantenmüttern, ihr Schatten wiederholt sich an der Wand; rot, blau, gelb und lila. Sie singt von kleinen Sachen: Muscheln, Brot, was hätte sein können, Insekten. Sie hört auf und ich merke, ich habe sie während des ganzen letzten Liedes angelächelt.

Ich will weinen. Nicht weil ich traurig bin, sondern weil es sich plötzlich so anfühlt, als hätte es keinen Zweck mehr, etwas zurückzuhalten. Sie sagt, ihr Name ist Alex Spencer; man solle ihr Album kaufen. Ich frage mich, ob das schnelle Vorbeifliegen diese Momente besonders wertvoll macht, oder besonders vergeblich. Hätten wir die Ewigkeit, wär es egal. Würde alles jetzt enden, wär es egal. Stattdessen haben wir dieses Zwischending: Zeit.

Wir sitzen zusammen in einer Kneipe. Ich und zwei Fremde, Händchen haltend, Geheimnisse umschüttend, Wörter über Biere kaskadierend. Du bringst Martinis an unseren Tisch, stellst dich vor. Ich verziehe das Gesicht von der Bitternis. Alle Blicke sind jetzt bei dir, niemand will etwas Unangekündigtes verpassen. Du trägst ein Tupfenkleid, dein Haar in glatten Hollywood-Wellen. Ich merke nicht sofort deine Turnschuhe unter dem Tisch. Deine Stimme ist tief von unzähligen Zigaretten, aber warm, nicht gebrochen, und du verlangsamst dein Deutsch meinetwegen nicht.

Es ist drei Uhr nachts und die Kneipe leert sich. Alle, die ich kenne, gehen, aber du willst nicht so früh weg. Du überzeugst mich woanders hinzugehen – ohne viel Mühe: ich bin zu sehr daran interessiert, warum du mit so einem langweiligen Menschen die Nacht verbringen willst. Die kalte Luft sticht in unsere Wangen, als wir hinaustreten und zum ersten Mal wirkst du unsicher. Du lässt die Stille leer. Du sagst, wenn die nächste Bar zu hat, könnten wir immer noch zurück zur U-Bahn und von dort aus nach Hause. Wir sind aber schnell da und innerhalb weniger Minuten hast du dich mit dem Mädchen, das neben uns sitzt, angefreundet, mit einem irischen Barmann, der unsere Unterhaltung mithört und auch mit dem Kellner, der uns einen Shot Rakia nach dem anderen bringt. Er versucht mein Alter von meiner Handfläche zu lesen. Er kommt zu dem Schluss: ich bin älter als ich aussehe, vermutlich 30. Mein Reisepass sagt 22. Du stellst Fragen, zwinkerst, küsst Hände, trinkst auf das Wohl unserer toten Katzen während ich murmele, lache, das Ganze aufnehme.

I wonder if the outpour is only because we’re so lonely – I don’t care, I’m getting drunk, drunk.

Es ist schon lange hell, als wir entscheiden die Bar zu verlassen. Du bringst mich zu meiner Station und wartest mit mir auf dem leeren Gleis. Du siehst wieder ein bisschen schüchtern aus, als du mir deine Nummer gibst und mich bittest, dir eine SMS zu senden, wenn ich gut nach Hause gekommen bin. Du gibst mir apologetisch deine Visitenkarte. Josefine, Journalistin. Du sagst, ich solle dich Josi nennen.

Ich bin dankbar, dass ich mich mit dir so furchtlos gefühlt habe, als wir der Nacht zusammen diese Stunden klauten und auch dafür, dass ich alle Gründe vergaß, die ich hätte vorwenden können, um zu einer frühen Nachtruhe zu eilen. Ich höre Alex Spencer summen: And the moments we now share, are more than a life of time.

Giselle Bernard, wurde 1996 in Schottland geboren und wuchs in Frankreich auf. Seit 2019 lebt sie in Berlin, studiert Geschichte und versucht, Deutsch zu verstehen.