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Kindheit

Passage und Panorama

Wenn wir als Kinder jene großen Sammelwerke „Weltall und Menschheit“, „Neues Universum“, „Die Erde“ bekamen, fiel dann der Blick nicht immer zuerst auf die farbige „Steinkohlenlandschaft“ oder auf „Seen und Gletscher zur ersten Eiszeit“? Solch ideales Panorama einer kaum verflossenen Urzeit tut mit dem Blick durch die in alle Städte verteilten Passagen sich auf. Hier haust der letzte Dinosaurus Europas, der Konsument.

 

Walter Benjamin

Pariser Passagen II, 1929

 

„Kindheit – bezeichnet den Zeitraum im Leben eines Menschen von der Geburt bis zur geschlechtlichen Entwicklung (Pubertät). Die inhaltliche Definition von Kindheit bezieht sich weniger auf eine biologische Lebensphase – ihr Bedeutungsgehalt ist vor allem kulturell und gesellschaftlich bestimmt.“
Lexikon-Eintrag: Kurzfassung „Entwicklung des Kindes“. (Memento vom 26. Dezember 2008 im Internet Archive) In: Brockhaus.de. 2008, abgerufen am 8. Oktober 2019

Kindheit. Geschichten

Alle Kindheitsgeschichten sind im Grunde Fälschungen; sie werden von Erwachsenen geschrieben, Kinder führen selten Tagebücher. Kindheitserinnerungen von Erwachsenen werden durch das Sieb der Erfahrung gefiltert. Die Distanz, die den Erwachsenen trennt vom Kind, ist unüberwindbar, lichte Momente werden erinnert: schlechte, gute, vielleicht entscheidende, vielleicht sogar tatsächliche, um ein mehr oder weniger ganzheitliches Bild zu rekonstruieren. Aber es wird immer übertrieben, zu Bedeutung, mit Bedeutungen ausgeschmückt, die Kindern unbekannt sind, und schließlich auf eine Art arithmetische Ebene reduziert.

Die Interaktion zwischen dem „kleinen Menschen“ und der Stadt, wird eindeutig von den Wünschen des „großen“ bestimmt. Der Dialog zwischen Kind und Stadt findet auf einer anderen Ebene statt. Er sieht die Stadt in fragmentierten Details, und es dauert Jahre, viele Jahre, bis alle Fragmente in ein Bild von Stadt passen. Er, der erwachsen ist, hat eine Beziehung zum nächsten Park, zur nächsten Straße, zum nächsten Hof, zur nächsten Treppe. Die Metapher „Welt“ versteckt sich hinter der Haustür. Auf der Treppe rascheln die eigenen und fremde Schritte, die Türen der Nachbarn quietschen ungleichmäßig, Stimmen aus den geöffneten Fenstern klingen ängstlich, fröhlich und geheimnisvoll.