
Die russische Staatsduma hat ein Gesetz verabschiedet, das die Suche und das Lesen extremistischer Inhalte im Internet, auch unter Verwendung von VPN-Diensten, unter Strafe stellt. Zwar enthält das Gesetz keine Legalisierung einer behördlichen Suche nach Informationen, die Versuche von Nutzern belegen, extremistische Inhalte zu finden. Der FSB, der Föderale Sicherheitsdienst, ist jedoch bereits jetzt per Gesetz berechtigt, alle Informationen über Internetnutzer, einschließlich Suchanfragen, einzuholen. Außerdem können Strafverfolgungsbeamte nach der Beschlagnahmung eines Mobiltelefons oder Computers auf die Daten zugreifen; dies ist gesetzlich bislang nicht erlaubt, doch das hält die russischen Sicherheitsdienste nicht auf.
Auch die Werbung für VPN-Services wird kann mit einer administrative Strafe belegt werden – für natürliche Personen mit bis zu 80.000 Rubel, für juristische sind es bis zu 500.000 Rubel.
Ebenfalls in diesem Monat haben die Behörden das Gesetz über Extremismus erweitert. Nun kann jede Gemeinschaft, auch wenn sie keine juristische Person ist, einschließlich Interessengemeinschaften wie beispielsweise ein Klub der Briefmarkensammler, als extremistische Organisation eingestuft werden, wenn ein (!) Mitglied der Gemeinschaft wegen Extremismus verurteilt wird. Sippenhaft für alle. Außerdem wird eine administrative Haftung für Medien eingeführt, die extremistische Organisationen erwähnen, ohne auf das Verbot ihrer Aktivitäten bzw. ihre Auflösung hinzuweisen.

Gespräche über die Dekolonisierung Russlands gelten als Extremismus. Jede Erwähnung des oppositionellen Politikers Alexej Nawalny und aller Organisationen, mit denen er in Zusammenhang stand, erfüllt (auch nach seinem Tod in einem Straflager im Februar 2024) den Tatbestand des Extremismus. Die Teilnahme an der nicht existierenden „internationalen LGBT-Bewegung“ ist Extremismus, selbst Kleidung oder Schmuck in Regenbogenfarben oder ein flüchtiger Kuss zwischen gleichgeschlechtlichen Freunden – oder Freundinnen – kann bestraft werden. Die Verwendung von Feminitiven wie Bibliothekarin, Lehrerin, Frisörin, Direktorin gilt ebenfalls als Extremismus. Offiziell sind feminine Formen nicht verboten, aber die Entscheidung des Richters des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation, Oleg Nefedov, in einem Verfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit, das gegen eine Bewohnerin der Region Saratow eingeleitet wurde, erklärte sie zu einem Merkmal des „LGBT-Extremismus”. Seit einigen Jahren versucht, den Feminismus ebenso wie die „Child-free Bewegung“ als Extremismus einzustufen, bislang jedoch ohne Erfolg. Noch „sperrt sich“ der Oberste Gerichtshof dagegen.
Auf die Liste der Extremisten und Terroristen kann man auch geraten, wenn man „Fake News“ über die Armee und die Behörden verbreitet und diese damit „diskreditiert”. Für das Zeigen „extremistischer Symbole“ wie der Regenbogenfahne und die Propaganda von Extremismus, also für das Wort „Journalistin“, kann man bis zu fünf Jahre bekommen. Auf mich, die Autorin dieses Textes, bezogen, heißt das: Ich Journalistin bin ein Extremist.
Für die Verbreitung von Fake News über die russische Armee, etwa der Wahrheit über die russische Invasion in der Ukraine, sind bis zu 15 Jahre Freiheitsentzug möglich. Für die Rechtfertigung von Terrorismus wie ein „Like“ unter einem Foto der gesprengten Kertsch-Brücke, droht eine Strafe von bis zu 7 Jahren. Für die Anstiftung zum Staatsverrat – das kann die Bitte sein, einer ausländischen Kollegin bestimmte Daten zu übermitteln – drohen bis zu 20 Jahre. Der Artikel über die strafrechtliche Verfolgung von Staatsverrat und Spionage ist mittlerweile so schwammig, dass man wohl auch den Besitz ausländischer Literatur zu Hause und Verwandte im Ausland darunter fassen könnte.

Vor einem halben Jahr kündigte der Vorsitzende der Staatsduma-Kommission zur „Untersuchung der Einmischung ausländischer Staaten in die inneren Angelegenheiten“ Russlands, Wassili Piskarew, an, zusätzlich „lebenslange Haftstrafen für Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, Medien, Jugendorganisationen, Analysten und Wissenschaftler“ an, die Anträge auf bestimmte Zuschüsse von der NATO stellen, und zwar nach dem Artikel über Landesverrat. Jede Zusammenarbeit mit beliebigen Organisationen, selbst kulturellen, wissenschaftlichen oder sportlichen, kann nach diesem Gesetz bestraft werden. Seit Beginn des Überfalls auf die Ukraine vor bald dreieinhalb Jahren nimmt die Zahl solcher Fälle zu: Rund 800 Personen werden wegen Landesverrats, Spionage und vertraulicher Zusammenarbeit während des Krieges angeklagt. 359 Personen wurden im Jahr 2024 verurteilt.
Offensichtlich werden Russen hauptsächlich mit Geldstrafen belangt – das ist gut für den Haushalt und unangenehm genug für den „Verbrecher“, der sich das nächste Mal zehnmal überlegen wird, bevor er etwas schreibt oder sagt oder einfach nur gut findet. Offensichtlich ist, dass die Behörden willkürlich vorgehen – manche veröffentlichen ihre antikriegsbezogene Meinung frei in sozialen Netzwerken und geraten nie ins Visier der Polizei, während andere für einen Kommentar bestraft werden. Allerdings schürt eine solche Politik auch Angst und Unsicherheit – es ist unklar, wofür man für was, wann und wie streng bestraft werden kann. Es ist nur offensichtlich, dass die Repressionen konsequent brutaler werden und der Kreis der Verdächtigten stetig wächst.
Der FSB, die Föderale Sicherheitsbehörde, kann gegen praktisch jeden Einwohner Russlands ein Verfahren einleiten. Im Juli hat der FSB in der Republik Komi in Syktywkar ein Strafverfahren gegen den Direktor des unabhängigen Kulturzentrums „Revolt-Center“ und Gründer der Internetpublikation „7×7“, Pawel Andrejew, eingeleitet. Er wurde des Landesverrats beschuldigt. Der FSB behauptet, Andrejew habe seit 2019 „geheime Verbindungen zu Agenten von NATO-Ländern und Organisationen unterhalten, die von ausländischen Geheimdiensten zur Verschleierung ihrer Spionage- und Subversionsaktivitäten in Russland genutzt werden“. In zwölf Regionen Russlands wurden Durchsuchungen in diesem Fall veranlasst.
Die geheimen Verbindungen bestehen in ausländischer Finanzierung, die das „Revolt-Zentrum“ für seine Projekte erhalten hat. Gegen die Geschäftsführerin des „Revolt-Zentrums“, Daria Tschernyschewa, wurde ein Strafverfahren wegen Nichtanzeige ihrer Tätigkeit als „ausländische Agentin“ eingeleitet, was laut Artikel 330.1 Strafgesetzbuch mit bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug geahndet werden kann.

Um Extremisten, Terroristen und Spione aufzuspüren, führt der FSB häufig Provokationen durch – er schreibt Russen im Namen von Ukrainern und bittet sie beispielsweise, Informationen über eine bestimmte Einrichtung weiterzugeben, einen Antrag auf Beitritt zu einem der auf Seiten der Ukraine kämpfenden Bataillone auszufüllen oder gegen gute Bezahlung Sabotageakte zu verüben. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Darüber hinaus arbeiten auch einfache Bürger im Dienst des FSB, die auf Anweisung des Dienstes ebenfalls an Provokationen teilnehmen, unzuverlässige Mitbürger anhand ihrer Kommentare in sozialen Netzwerken verfolgen und Klone von Bots beliebter ukrainischer und oppositioneller Projekte in Telegram erstellen, um Daten über diejenigen zu sammeln, die ihnen schreiben.
Kürzlich tauchte im russischen Facebook-Äquivalent VKontakte die Information auf, dass das Ministerium für Digitales und Informationstechnologien den Einsatz künstlicher Intelligenz genehmigt habe, die sämtliche geschätzt 360 Millionen Anrufe pro Tag abhören werde. Außerdem werde das System jeden der 77 Millionen russischen Nutzer in sozialen Netzwerken „verpfeifen“. Natürlich wurde den Bürgern mitgeteilt, dass künstliche Intelligenz eingesetzt werden soll, um Betrüger aufzuspüren, aber man müsse ja auch gegen Extremisten und Terroristen vorgehen.
Übrigens übermittelt VKontakte selbst Nutzerdaten, Informationen über verdächtige Kommentare sowie die Korrespondenz der Nutzer an den FSB. Darüber hinaus hat der FSB die Möglichkeit, Nutzer von Telegram, WhatsApp und Signal zu überwachen. Dazu wird das Programm NetBeholder verwendet, das Zugriff auf Metadaten hat. Mit NetBeholder lässt sich insbesondere herausfinden, wer mit wem wann und wo spricht und schreibt und ob eine Datei an die Nachricht angehängt ist. Das Programm ermöglicht auch, festzustellen, ob ein Nutzer weitere Telefone besitzt, und den Standort zweier Handys über den Tag hinweg zu verfolgen, um herauszufinden, ob sie sich in der Nähe befanden.
Aber auch das scheint den Behörden nicht genug zu sein – diesen Monat hat die Staatsduma ein Gesetz zur Einführung eines eigenen russischen Messengers namens MAX verabschiedet. Er wurde von den Entwicklern von VKontakte als nationaler Messenger mit staatlichen Diensten entwickelt, wobei die Benutzeroberfläche und die Funktionen von MAX vollständig von Telegram kopiert wurden. Der Telegram-Kanal RED BINDER berichtet, dass dieser Messenger wie ein Spionageprogramm funktioniert und sich bei der Installation ohne Nachfrage sofort in alle Funktionen des Smartphones hackt und Nutzerdaten sammelt.
Ab Herbst dieses Jahres wird der Messenger MAX auf allen neuen Handys vorinstalliert sein. Heute gibt es auf dieser Plattform Nachrichtenkanäle, auf denen Deepfakes und putinistische Z-Propaganda aktiv verbreitet werden, Bots agieren und Likes künstlich generiert werden. Da MAX noch kein großes Publikum hat, versuchen die Behörden, die Russen durch Werbung bei Bloggern für den neuen Messenger zu gewinnen. Die Staatliche Universität Sankt Petersburg zwingt Studenten und Mitarbeiter zur Umstellung auf den staatlichen Messenger. Andere Hochschulen, Schulen und Kindergärten werden diesem Beispiel folgen. Mit der Begründung, dass der Messenger für Elternchats notwendig sei, wird er auf den Handys der meisten Einwohner Russlands installiert werden, unabhängig von deren Einverständnis. Mit MAX wird die Aufdeckung von Extremisten, Terroristen und Spionen deutlich schneller vonstattengehen. Der vollkommene gläserne Bürger ist nur eine Frage der Zeit.
Darüber hinaus hat die Staatsduma am 8. Juli ein Gesetz verabschiedet, das dem FSB die Befugnis erteilt, eigene Untersuchungsgefängnisse, sogenannte Isolatoren, für Fälle von Hochverrat, Spionage, Terrorismus und Extremismus einzurichten. Das Gesetz zielt auf Personen, die verdächtigt oder beschuldigt werden, Verbrechen gegen die Staatssicherheit begangen zu haben: Landesverrat, Spionage, Terrorismus, Extremismus, Zusammenarbeit mit ausländischen Staaten oder Organisationen.
In der Begründung heißt es, dass solche Fälle seit Beginn der „Militärischen Spezialoperation“ zugenommen haben und andere Länder ein erhöhtes Interesse an den Betroffenen zeigen. In den Isolatoren werden Menschen bewacht, eskortiert und medizinisch versorgt. Außerdem kann der FSB die Häftlinge dort ihre Strafe verbüßen lassen. In das Gesetz wurde auch eine Änderung des Flüchtlingsgesetzes aufgenommen: Der FSB kann nun Fragen im Zusammenhang mit Flüchtlingen klären und sich nach Verbüßung der Strafe in die Abschiebung von Ausländern einmischen. Das heißt, der FSB kann legal Filtrationslager und Gefängnisse für Ukrainer betreiben.
Im Großen und Ganzen hat der FSB dieselben Befugnisse wie das sowjetische Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten, als NKWD unter Stalin verantwortlich für Massenrepressionen und die Ermordung Hunderttausender. Angesichts dieser Lage und unter Berücksichtigung aller kürzlich verabschiedeten Gesetze lässt sich sagen, dass der Gulag 2.0 fertiggestellt und technisch überlegen ausgestattet ist.