Thomas Martin
Man kann von Berlin sagen, was man will, doch eines kann man nicht verschweigen: es ist eine hochfliegende Stadt. Nicht nur seiner oft verfehlten Ambitionen wegen, nein, auch frei von Metaphern in Betracht seiner aeronautischen Herkunft. Alle sieben Flughäfen, von denen zwei derzeit eher weniger als mehr betrieben werden, entstanden vor dem Hintergrund kriegsnotwendiger Nutzung. Sie waren Militärflugfelder. Aus der Sicht des Medientheoretikers Friedrich Kittler, der Popmusik als Mißbrauch von Heeresgerät definiert hat, ließe sich leichthin sagen, Berlin, das ist der Mißbrauch von Flughäfen.
Daß auch ziviles Fliegen vom Tod herkommt, daran erinnert mit Ausnahme des gestürzten Flugpioniers Otto Lilienthal, der für TXL immer noch mit seinem Namen bürgt, heute wenig. Es gibt Ikarusstatuen die Menge, doch auf dem Weg von Lilienthals Normalsegelapparat zum Airbus fielen mehr Maschinen feindlichem Abschuß zum Opfer als dem Absturz in Folge menschlichen Versagens. Wobei wir auch den Luftkrieg als Folge menschlichen Versagens einordnen, keine Frage.
Berlin und menschliches Versagen, das ist ein weites Feld. Berlin und technisches Versagen sind, sagt ein lokales Aperçu, ein und dasselbe. Und da technisches Versagen zwangsläufig auf das menschliche zurückzuführen ist, schließt sich hier der Kreis. Berlin und Flughäfen sind dagegen eine eher unabgeschlossene Sache. Und damit ist nicht nur die vor sich hin debakelnde Abfertigungsmaschine in Brandenburg gemeint. Ganze sieben Flugplätze hat die Stadt bislang verbraucht; diese glorreichen und ihre inkonsistente Geschichte sollen nun eingehen in das, was als BER seit Jahrzehnten annonciert ist.
Hier ein Epitaph für die Vorgänger: Johannisthal/Adlershof – 1909 von der Preußischen Eisenbahn-Brigade angelegt, war erster Testplatz für die Fliegertruppe; geschlossen 1952. Karlshorst/Biesdorf, Ausbildungsstandort für Soldaten der Luftbildfotografie; geschlossen 1919. Staaken – 1916 als Produktionsstätte für Militärluftschiffe eröffnet; geschlossen 1957. Gatow – 1935 von der Wehrmacht begründet, 1945 bis 1994 von der RAF betrieben. Tempelhof – wurde vom Exerzierfeld zum „Zentralflughafen Berlin“ als größtem der Welt, trug das flächengrößte Gebäude der Welt, wurde zum größten Luftbrückenkopf der Welt und bevor die Superlative überhandnehmen konnten stillgelegt 2008. Dann Tegel: Ach, Tegel. Es ist alles schon gesagt zu Tegel, das als Raketentestgelände begann, als sechseckiges Avantgardebeispiel von einem Flughafen abhob, verschlissen wurde von einer verheerenden Verkehrspolitik und nach 46 Jahren Flugbetriebs nun schließen muß. Nummer 7: Schönefeld, im Lauf schlimmster Flugplätze unverdientermaßen ganz oben. Weniger bekannt dagegen ist Martin Heideggers berlinische Hochschulkarriere. Entworfen von Speer, sollte seine nationalsozialistische „Preußische Dozentenakademie“ in Schönefeld liegen. Dazu kam es nicht. Die verfüllten Fundamente ruhen seither unter den Startbahnen der Zukunft und sinken, allmählich, auf die Tiefen jenes Tunnels zu, den eine leere S-Bahn zwölfmal täglich durchfährt, um den Beton zu belüften, der sonst Schaden nähme in der stehenden Luft.
Zusammengefaßt: Die populäre Unlust Berlins zu funktionieren hat ihren Grund vielleicht eben darin, im Traum vom Fliegen, dem Drang nach Höherem, dem die Potenz des Scheiterns im Ursprung eingeimpft ist. So gesehen läßt sich mit Recht sagen: die Stadt Berlin ist auf sieben Flughäfen gebaut.