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Tag 60

Mutter Heimat (3) /

Sie lebt in der Schattenspur, sie ist durch den Winter gekommen, wir wissen nicht wie. Der Winter ist noch nicht vorbei, sagt der Kalender. Sie hockt mit ihrem Wagen, nicht mehr von NETTO, jetzt ein Buggy, der, als ich in so was saß, Sportwagen hieß, voll mit ihren Dingen, vis-à-vis vom Märchenbrunnen auf dem Betonsockel vor dem verlassnen Burger-Restaurant. Der Sockel ist eine Art stiller Briefkasten oder einfach nur Depot. Vier flache Betonquadrate in einen Rahmen gepasst, in der Mitte die Tülle für den Stiel. Im Sommer stecken Sonnenschirme drauf, heut ein ausgeraubter Heizpilz ohne Strom. Der Schatten der Haube vom Pilz liegt wie ein Hut mit weiter Krempe über ihrem besonnten Gesicht. Elegant. Der länger werdende Schatten macht einen Heiligenschein draus oder Saturn. Sie lächelt in sich.

Weiche Klippe, sitzt sie in der Flut der Sonntagsschatten, bevor die Leute, wir, an ihr vorüber-, über sie hin-, durch sie hindurchspülen. Sie trinkt die Schatten, und sie lacht uns ins Ungewisse zu. Niemand weiß, ob er wirklich gemeint ist. Man kann sie, nach der Tradition der Russen, als Blaschennaja, Glückselige, ansehen und sich gesegnet fühlen vom Blick einer, die weil sie nichts hat, alles hat. Ihr Gesicht, überzogen von tanzenden Schatten, ist fahl, ein leeres Blatt, leer, leer, leer und leer, und dauernd beschrieben.

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