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Wladimir Sasubrin

DER SPAN

erscheint demnächst im Verlag ciconia ciconia

Der Span (Щепка) ist eine Erzählung aus dem Jahr 1923 über die Tätigkeit der als Tscheka bekannten „Außerordentlichen Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage während des Russischen Bürgerkriegs. Wladimir Sasubrin reflektiert darin seine Erlebnisse als Offizier der Roten Armee. Für die geplante Veröffentlichung schrieb der Kritiker Walerian Prawduchin ein Vorwort; die Publikation kam nicht zustande. Sasubrin und Prawduchin wurden während des Großen Terrors Ende der 1930er Jahre erschossen. „Der Span“ wurde erstmals 1989 in der Literaturzeitschrift „Sibirische Lichter“ veröffentlicht, deren Redakteur Sasubrin selbst von 1923 bis 1928 war. 1992 wurde auf Grundlage der Erzählung in russisch-französischer Koproduktion der Spielfilm Der Tschekist gedreht. Ins Deutsche wurde bislang kein Werk Sasubrins übersetzt.

Zur Handlung: Bürgerkrieg im revolutionären Russland – die Mitglieder einer Tscheka-Einheit verlesen lange Listen von „Feinden der Sowjetmacht“, die den Weißen gedient oder ihnen geholfen haben, die „die Bolschewiki in der Küche beschimpft“ haben, deren Fehler in ihrer „falschen Klassenzugehörigkeit“, in ihrer Existenz liegt. Das Urteil fällt immer sofort, immer gleich, immer eindeutig: Höchststrafe, Erschießung. Nach der Verurteilung werden die Gefangenen in einen „Duschraum“ im Keller geschickt, wo sie sich ausziehen müssen, zu fünft an die Wand gestellt und mit einem Schuss in den Hinterkopf getötet werden. Die Leichen werden wie totes Vieh auf den Hof geschleppt, von dem täglich Lastwagen mit den Hingerichteten abfahren. Zentrales Thema ist die innere Tragödie des Intellektuellen Srubow, sein Versuch, Gewalt mit den Erfordernissen der Revolution zu rechtfertigen. Im Gegensatz zu seinen proletarischen Genossen, für die das Exekutieren nach Plan Rache am Klassenfeind ist, schiebt Srubow eine Philosophie vor, die die Antinomie von Terror und Humanismus überbrückt. Wo die Waffe nicht versagt, muss der Mensch versagen, die Philosophie kippt in den Wahnsinn.

Sasubrins Sprache ist extrem metaphorisch, lyrisch expressiv, und erinnert in ihrer epischen Konstruktion an die Prosa Platonows. Beide Autoren zeigen einen Produktionsprozess, der Sprache neu nutzt. Sasubrin erzählt von der Nivellierung des Menschen bis zur puren Funktionalität, zur entweder kleinen Schraube in der Staatsmaschinerie oder zum Span im Getriebe, der entsorgt werden muss. Die Entmenschlichung der sowjetischen Gesellschaft begann mit Institutionen wie der Tscheka und ihren Funktionären, die in der Sowjetunion die Macht hielten und im putinistischen Russland halten. Sasubrins Analyse einer entmenschlichten Gesellschaft offenbart das Bild der heutigen.