Oleg Klimows Fotografien, die vor allem Bilder aus den Kriegen zeigen, haben eins gemeinsam, eins im Fokus: den gestischen Zugriff. Wie der Straßenfotograf Schritt hält mit der Straße und ihrem Betrieb, hält der Kriegsfotograf mit den Kriegsgeschehen mit. Angreifen, Deckung suchen, Abwehr und Verteidigung. Die Gefangenen, die hier gemacht werden, sind die Bilder.
Der Fotograf des Krieges arbeitet distanziert und treffsicher zugleich. Die Jagd nach dem Moment – der Schuß hinter dem Schuß – lässt sich als Beschreibung über alle Kriegsfotografien, die wir kennen, setzen. Sie umfasst nur das Handwerk, es ist das der Scharfschützen. Die Kunst, die das Bild vom Ereignis abhebt, ist die Unterscheidung von Moment zu Moment. Es gibt nur den einen, der ein Foto zu dem macht, was es ist. Damit kommt das Motiv des Spiels zu dem der Jagd dazu. Ein drittes ist das des Philosophierens. Dafür hat der Fotograf im Krieg die wenigste Zeit.
Für die Fotografie, ob analog, digital oder wie sonst, gilt immer noch die Bemerkung Vilém Flussers über die „Geste des Fotografierens“, dass die Reflexion beim Fotografieren so wesentlich ist wie die Manipulation. Wer fotografiert, manipuliert: durch die Auswahl des Standorts, der Situation, durch seine Anwesenheit. Wer fotografiert, reflektiert: durch die Entscheidung JETZT auf den Auslöser zu drücken. „Was aber für die Fotografie gilt, gilt auch für die Philosophie und ganz einfach für das Leben.“ Für den Fotografen im Krieg gilt es auch für den Tod, den gewaltsamen Tod.
Es wäre zu einfach zu sagen, dass der oft ikonische Charakter seiner Bilder mit der Nähe zur Orthodoxie zu tun hat, die in Klimows fotografischem Revier vorherrscht. Er drückt genauso gut die Haltung aus, die der Fotograf dem Motiv gegenüber einnimmt. Sie ist religiös im Sinn des Glaubens: an den Vorgang, an die Situation, an die Darsteller, die er im Bild festhält, aus der Zeit geschnitten im Moment, der für diejenigen tödlich sein, kann, die Klimow – möglich – im selben Moment in die Ewigkeit holt.
Für alle Bilder eins: Grosny, 1995. Zwei Frauen vor der zerschossenen Kapelle, das Kreuz oder das was übrig ist davon, stülpt sich aus der von Einschusslöchern übersäten Mauer, deren Grenze zwischen Schwarz und Weiß das Bild in zwei Hälften teilt, die linke der Frauen küsst das Kreuz. Die Stille nach dem Krieg oder Gefechtspause zwischen zwei Schlachten, lässt beiden Frauen den Moment aus Ruhe ganz. Sie haben ein Leben voll Arbeit und mindestens einen Krieg hinter sich, jetzt hat sie der nächste. Die Frau in geblümtem Kopftuch und geblümten Kleid links vor der weißen Ecke der Wand steht wie ein Spiegel vor den Narben im Stein. Sie überwuchern in Form von Blumen, seltsamer Weichtiere, entnommener Organe, den Putz, am Mund, der das Kreuz küsst, ein Einschuss wie ein misslungener Mickeymauskopf. Nach links hin zum Bildrand setzt sich die Erosion des Materials im Gitter des Torflügels fort, während die rechte Bildhälfte/schwarze Ecke der Mauer wie ein Gobelin, dem die Geschossgarben das Weiß aus der Textur gerissen haben, sich über die Sitzende in ebenfalls geblümten Kleid wölbt. Sie sieht wie das Negativ der Nachbarin zur linken an uns Betrachtern vorbei in die Zeit, aus der die Bomben kamen, mit offenem, erzählenden Mund. Die Frauen und die zerschossene Wand, die Klimow aus der Zeit hebt, diffundieren im Schwarzweiß der Fotografie zu einer Materie, einer Fläche, einer aufgeschlagen Seite der Kriegsfibel, die wortlos beides, Text und Bild, zeigt. Was wir das Drama des Krieges nennen, findet in Klimows Foto als Stillleben statt. Er erinnert uns in der friedlichsten aller Formen daran was Drama ist: Bildbeschreibung.
Der Fotograf schießt mit der Kamera, er muss überzeugend eins mit seinem Handwerk sein, das ein anderes Handwerk visuell analysiert. Für den Kriegsfotografen ist es das Handwerks des Tötens, und es ist gleich, ob es den Angreifenden oder den sich Verteidigenden betrifft. Der Fotograf hat kein Recht, hier moralisch zu unterscheiden. Er braucht, im Auge des Konflikts, den kalten Blick, der nur eins verurteilt, den Krieg.
Die Ausstellung ist bis einschließlich September in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche zu sehen