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Tag 98

Als der Sommer kam, kam das Feuer, und es stinkt bis heute //

Die Frau erzählt:

„Da ist Rauch! Rauch!“

Die Kinder schreien. Ich renne zum Fenster, zu sehen, was es ist. Die Pandemie hat uns alle ausgehungert, wir hatten an Ereignissen nicht viel.

Ich hole meine Kamera und fotografiere den Rauch.

Das Haus gegenüber steht in Flammen, es ist kein Wohnhaus, soweit wir wissen, wir sehen über den Hof nur die Brandmauer und können nur ahnen, was dahinter eigentlich brennt.

Noch riecht es nur nach Holz und Kohle. Wir wissen von Schornsteinen, die, bevor man sie versiegelt, ausgebrannt werden, vielleicht ist es das.

Der Rauch wird dichter, wir hören die Sirenen, vor dem Fenster taucht ein Feuerwehrmann auf und fährt weiter, vorbei, fünfter Stock. Die Leiter wischt an der Regenrinne lang, der Feuerwehrmann steigt aufs Dach.

Unten die Greifswalder stadtauswärts ist gesperrt. Leute laufen in unseren Hof, um Fotos vom Feuer zu machen beziehungsweise von dem, was da raucht. Pilgerfahrt zu einem Ort, an dem endlich, endlich was passiert. Bedeutendes.

Ich seh aus dem Fenster, sehe den Stau aus Feuerwehr, Polizei, Passanten und Nachbarn vor unserm Haus. Wir brauchen Brot, wir brauchen Spiele, die Cafés auf den Straßen sind voll von Menschen in Masken, von Masken mit Menschen, und jedes noch so unbedeutende Ereignis wird von einer Hitzewelle von Emotionen begleitet. Kein Wunder, dass es brennt.

 

Gut, vielleicht ist ein Brand nicht ganz so null, wenn der Rauch eine Straße abwürgt, alle vier Spuren, Straßenbahn und zwei Kreuzungen lahmlegt.

Und dann schneit es.

Hinten sägen die Feuerwehrleute inzwischen das Dach und füllen unseren Hof mit Schaum. Der Winter ist zurück. Oben der fette schwarze Rauch, unten fettweiß der Schaum. Der Rauch brennt in den Augen weh, der Junge würgt und schreit. Brüllt, dass er jetzt endlich in den Kindergarten will.

Wir machen die Fenster zu. Das Abenteuer zieht sich in die Länge und wird Teil der Routine. Schuhe anziehn, Jacke, los. Vergiss nicht zu trinken, viel  trinken! Jaja.

Die Nachbarn ein Haus weiter sind so laut wie die fiependen Rauchmelder ringsum, sogar lauter. FUCK! dröhnt durch die Höfe, FUCK! Close the FUCKING window, FUCK! FUCK, don’t you see that this FUCKING smoke’s already FUCKING everywhere …!

Ok, die Nachbarn sprechen Englisch, sie haben ihre Fotos gemacht. Sie haben es satt. Ich auch. Im Treppenhaus kannst du kaum atmen, von unten brüllt die Feuerwehr, die Männer brüllen Kommandos, die Sirene heut. Bei uns im Haus geht der letzte Rauchmelder aus, nein, wieder an, und jammert schrill und traurig über den Hof, hallt von den Wänden, löst sich in Rauch auf. Stille.

Die Feuerwehrleute trampeln über das Dach. Ich hatte auf Evakuierung gehofft, scheint aber nicht nötig zu sein. Das Ereignis klingt ab. Unten rast eine Nachbarin mit Kamera wie eine Rakete vorbei, sie prallt gegen das Publikum , verliert das Objektiv, flucht, hebt es auf, rennt weiter und fotografiert wie zum letzten Mal im Leben letzte Momente. Ihr Tag war nicht umsonst.

Der Mann erzählt:

Als es brannte und seitdem immer noch stinkt, acht Wochen danach.

 

Die Nächte waren schon warm, es war hell, fünf ungefähr. Der Geruch war das erste: Bratäpfel und glühende Kohlen. Dann kam, mit dem Aufwachen, derTraum: als Kind im Bett liegen und den Schein des Feuers aus dem Ofen betrachten, rotgelb, und die Schatten an der Wand, das Klappern der kleinen eisernen Tür … dann kam der Nebel durchs Fenster und das Begreifen, dass irgendwas brannte. Dass viel brannte. Dass vielleicht zu löschen wäre. Dass man sich zu retten hätte, die Kinder, Klamotten, was noch. Halsschmerzen, Tränen, Würgreiz. Fetter Qualm.

Das Heimelige und der Schrecken schlugen zusammen. Das süßlich-kindliche Kachelofenerlebnis schlug um zum Selbsterhaltungstrieb. Raus! Auf die Uhr sehn: 5:30.

Bevor das Feuer durch den Rauch zu sehen war, spielten die Rauchmelder verrückt, jaulte der Hund, stürzten die Bilder im Kopf übereinander, die an der Wand wackeln auch, alles schwimmt, der Qualm nimmt die Sicht, vernebelt den Hof, von der Straße her klingen die Feuerwehrsirenen, wir wecken die Kinder und packen die Sachen, Schule, Kindergarten, Rechner. Raus! – Halt, zurück: die Katze!

Von der Brandmauer, die mal ein Quergebäude war und gottseidank immer noch Brandmauer ist, fällt der Putz in den Hof auf die Fahrräder und den wackligen Schuppen. Ein verkohlter Balken fällt auch.

Am Fenster zur Straße schiebt sich ein Schatten vorbei. GUCK MAL, brüllt das Kind und klopft an die Scheibe und winkt. Die Feuerwehr steht im Flur, ohne klingeln zu müssen, sie sind durchs Fenster gekommen, alles klar? Ja, danke, alles klar. Evakuiern Sie? Wir? Wieso? Nö, nicht nötig. Aber gehn Sie besser mal an die Luft.

Unten reißt die Nachbarin die Tür zur Durchfahrt auf, fotografiert wie verrückt, ich schick euch die Bilder! Ich schick euch die Bilder! Sie schickt uns die Bilder.

Der Junge erzählt:

Ich hab die Feuerwehr als erster gesehen. Das Feuer hab ich auch gesehen. Aber nur den Rauch. Und dann war mir schlecht.

P.S. Jetzt, zehn Wochen ist es her, steht immer noch das Baugerüst im Hof, wir haben nur, Sie sehen hier, das kleine Stück. Und: KLETTERN VERBOTEN. Der Rest, das kleine Glück im Hinterhof, ist uns versperrt. Zur Erinnerung daran, dass man für große Vorführungen was zahlen muss.

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