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Tag 93

Aquarium //

Oft ist die Großstadt, sind ihre Passagen und Schaufenster verglichen worden mit Aquarien bei Nacht. Im KAISERPANORAMA spricht Benjamin davon: „Im Jahre 1822 hatte Daguerre sein Panorama in Paris eröffnet. Seitdem sind diese klaren, schimmernden Kassetten, die Aquarien der Ferne und Vergangenheit, auf allen modischen Korsos und Promenaden heimisch.“

Seit einer Weile sind sie es nicht mehr. Nicht nur, weil Ferne und Vergangenheit auf Festplatten und Display, in den Bullaugen der Billigflieger gespeichert sind und ganze Städte oder Staaten sich in Kaiserpanoramen verwandeln.

Nicht nur, weil das Konzept der Zoos und der Aquarien aus der Mode und aus der Relevanz gekommen ist, nicht nur, weil die nächste Kolonialismus- und Klimadebatte auch ihnen den Hahn andrehen wird. Nicht nur, weil die märchenhafte Poesie den Dioramen, Panoramen, Passagen und Aquarien ausgetrieben ist … Das alles sind Gründe, die den Vergleichsgegenstand erledigt, die Vergleichsmaße aufgehoben haben.

Ein Satz aus dem Passagenwerk von vor fast 100 Jahren rückt es ins heutige künstliche Licht: „Die innersten, glühenden Zellen der ville lumière, die alten Dioramen, nisteten in den Passagen, von denen eine noch heute nach ihnen den Namen hat. Es war im ersten Augenblick als beträte man ein Aquarium. An der Wand des großen verdunkelten Saales zog es sich, von schmalen Gelenken durchbrochen, wie ein Band hinter Glas erleuchteten Wassers entlang.“

Die innersten glühenden Zellen der Lichterstadt, die inzwischen jede Stadt ist, halten wir in der Hand. Sie sind zur Kommunikationszentrale, zum alles absorbierenden Speicher geworden. Sie sind Kompendium und Archiv, dem wir uns überantworten, ohne es noch hinterfragen zu können, weil eine Analyse oder Dekonstruktion ohne es inzwischen kaum mehr möglich sind.

Dahinter steht kein Fatalismus und kein Eskapismus; absehbar aber auch keine Alternative. Es gibt zur künstlichen Intelligenz nur eine Alternative: künstliche Dummheit. Für deren Erzeugung bislang kein Beweis vorliegt, falls wir nicht doch an Gott an den Schöpfer alles Menschlichen glauben.

Und es reizt der Gedanke, dass nicht allein die exotischen unter Denkmal stehenden Meeresbewohner, nicht die Großstädter, nicht nur, sondern der ganze Planet unter Glas beleuchtet, schwerer, immer schwerer werdend durch den Kosmos trudelt, fasziniert besehn von Aliens wie Benjamin Aragons Paris, das aquarium humain, ansah.

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