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Tag 6

Boris Pasternak war 1905 zum ersten Mal im Ausland, er war 15 Jahre alt. Berlin war seine erste Stadt in Europa: „Alles ist ungewöhnlich, alles ist anders hier, als ob man nicht lebt, sondern einen Traum sieht, an einer erfundenen, nicht inszenierten Theateraufführung teilnimmt. Du kennst niemanden, niemand sagt dir, was du tun sollst … Bald lernte ich Berlin kennen, wanderte durch seine unzähligen Straßen und den endlosen Park, sprach Deutsch, imitierte den Berliner Dialekt, atmete eine Mischung aus Lokomotivrauch, Lampengas und Bierduft und den Duft der Mälzereien, hörte Wagner …“

 

Jetzt gibt es in dieser Stadt keinen Rauch von Lokomotiven, keine Gaslampen, keinen Braudunst mehr zu riechen. Und es gibt keinen Pasternak mehr. Er hat Berlin zuletzt 1935 gesehen. Damals beschloss er, „Doktor Schiwago“ zu schreiben. Für diesen Roman erhielt er 1958 den Nobelpreis und wurde aus dem Schriftstellerverband der Sowjetunion ausgeschlossen.

Draußen vor dem Fenster rauscht die Straßenbahn, Autos und Fahrräder stehen im Stau. Und zweihundert Meter von unserem Haus entfernt befindet sich das „Pasternak“, ein Restaurant, in dem jeder ein Gericht namens „Proletariat“ probieren kann. Seltener Fall, in dem, der Geschichte zufolge, das Gericht einen Mann gegessen hat, nicht umgekehrt …

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