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An der Peripherie

Annett Gröschner

An einem Sonntag in diesem Sommer, Berlin diskutierte wieder mal Straßenumbenennungen, fragte ich mich, auf dem Weg nach Hellersdorf, wem in Berlin das angemessenere öffentliche Gedenken zuteil wird: Bärbel Bohley oder Maxie Wander.

Nach Bärbel Bohley ist seit 2016 die Ringstraße eines Neubauviertels am Mauerpark zwischen Wedding und Prenzlauer Berg benannt – durchschnittliche Investorenarchitektur, einer Gated Community nicht unähnlich, nur sind die Zäune unsichtbar. Das Viertel verkörpert etwas, das der Bürgerbewegten Bärbel Bohley fremd gewesen sein muss, sonst wäre das mit dem Neuen Forum 1989 nichts geworden. Aber es ist eine Straße innerhalb der Ringbahn, das steigert die Bedeutung der Person.

Maxie Wander dagegen hat 1992 ein Straße am letzten Ende von Hellersdorf bekommen, inmitten dessen, was Mittemenschen gerne Pampa oder Plattenbauwüste nennen. Dort teilt sie eine Straßenkreuzung mit Carola Neher, die Schlimmeres erlebt hat. Als die Fundamente der Plattenbauten in die Rieselfelder gegossen wurden, bekamen viele Straßen Namen von verdienten SED-Genossen. Nach 1990 wurden sie umbenannt. Dabei passten die Häuser ganz gut zu den Genossen, hatten sie die architektonische Tristesse doch angerichtet, anders als die Neuen. Zu Beginn des Jahrtausends hatte ich eine Korrespondenz mit einer Pizzafahrerin in einer brandenburgischen Stadt, die nur unter Protest in die Ernst-Bloch-Straße fuhr, weil die auf Abriss stand und nur noch böse Jungs da wohnten, die die Pizza gerne ohne Umschweife, was hieß, ohne Trinkgeld zu zahlen, nahmen. So sah das konkrete Ende einer Utopie aus, Stadtumbau Ost genannt.

Nicht erst seit Katja Oskamps Marzahner Fußpflegerinnengeschichten wissen wir, dass die guten Erzählungen in den Peripherien nur darauf waren, abgeholt zu werden. Aber das geht nicht, ohne sich auf den Ort einzulassen. Maxie Wander, die Philanthropin unter den Schriftstellerinnen, hätte in ihrer Straße in Hellersdorf unzählige Lebensgeschichten gefunden, nicht zuletzt in der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete. Eine zweite Schule wurde abgerissen, seitdem ist das Gelände der Natur überlassen. Die eigentlich in Kreuzberg ansässige Neue Gesellschaft für bildende Kunst bespielt die Brache seit einiger Zeit als temporären Place International. Mit der Station urbaner Kulturen hat sie seit 2014 eine Außenstelle in der Peripherie, im Moment auf dem Kastanienboulevard, auf dem die Beleuchtung abends so funzelig ist, dass man sich mit der Handytaschenlampe den Weg zur U-Bahn bahnen muss. Die nGbK weiß um den langen Atem, den es braucht, um von der Nachbarschaft akzeptiert zu werden und selbst zu akzeptieren, dass eine Großsiedlung am Rand anderen Gesetzen folgt als ein Gründerzeitviertel in der Stadtmitte.

In diesem Sommer fragt sie auf zusammen mit Anwohnern entwickelten Billboards „Die Pampa lebt“ nach dem utopischen Potenzial „eines immer kosmopolitischeren und widersprüchlichen Hellersdorf“.

Was könnte allein auf der Brache der Schule nicht alles entstehen – ein Freibad, es gibt kein einziges in Marzahn-Hellersdorf, ein Gemeinschaftsgarten mir Streuobstwiese oder ein Cricketplatz, eine Sportart, die Geflüchtete nach Hellersdorf gebracht haben. Aber wahrscheinlich wird es doch nur die einfallsloseste Antwort auf die Platte: flächenversiegelnde Reihenhäuser, von Investoren bereitgestellt.

Gleich neben der Maxie-Wander-Straße befindet sich der Regine-Hildebrandt-Park, den ich an diesem Sonnabendnachmittag ganz für mich allein habe. Hinter den Pappeln höre ich Regine Hildebrandts heisere dunkle Lache.